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Kann man durch Radfahren Erkrankungen lindern oder gar heilen?

Interview mit Stefan Agena Physiotherapeut und Ostheopath (FOI)

 

Radfahren ist die umweltfreundlichste und gesündeste Art sich zu bewegen. Immer mehr Menschen nutzen deshalb ihr Fahrrad nicht nur im Alltag sondern auch als Sportgerät und zur Prävention.

Kann man durch Radfahren Erkrankungen lindern oder gar heilen?

Wir fragen Stefan Agena, Physiotherapeut und Ostheopath(FOI)

 


F&G: Stefan, eignet sich das Fahrrad als Therapiegerät und für welche Erkrankungen ist das Radfahren besonders geeignet?

Wir Menschen brauchen Bewegung. Unsere Muskulatur und unser Herz-Kreislauf-System müssen beansprucht werden. Alle Regelmechanismen unseres Körpers werden durch Bewegung positiv beeinflusst. Das geht vom Stoffwechsel bis hin zur Verbesserung unserer Gedächnisleistung. Deshalb kann ich Deine erste Frage uneingeschränkt mit JA! beantworten.

Nach längerer Sport- und Bewegungspause, egal, aus welchem Grund kommt das Fahrrad neben dem Gehen sofort auf den Plan, wenn es um Therapiegestaltung geht. In der Reha sind Ergometer ein idealer Begleiter für ein sinnvolles Cardio- und Muskelaufbautraining. Später bietet sich das Fahrrad hervorragend als Therapiebegleiter. Durch die Vielfalt auf dem Fahrradsektor finden sich für alle Interessengruppen ausreichend Angebote. Es muss ja nicht immer das Rennrad sein. Es ist natürlich wichtig, dass wir uns mit unserem Fahrrad auseinandersetzen. Habe ich eine Schaltung, so ist es natürlich sinnvoll, diese auch entsprechend zu bedienen.

Der Fahrradergonomie kommt eine ganz wichtige Rolle zu. Denn nur eine optimale individuelle Einstellung führt wie bei anderen Trainings- und Therapiegeräten auch, zu optimalen Therapie- und Trainingsergebnissen. Sind diese Parameter aber mit dem Fachhändler vor Ort abgeklärt, dann sind mit dem Fahrrad wirklich alle Aspekte eines sinnvollen Therapieeinsatzes gewährleistet.

Die Frage, ob das Fahrrad bei bestimmten Erkrankungen besonders geeignet ist, ist gar nicht so einfach zu beantworten: Spontan denken wir sicher gleich an Erkranken aus dem orthopädischen Bereichen wie Hüft- und Kniegelenksbeschwerden. Hier finden wir sicher auch eine große Gruppe an Betroffenen, die nach ihrer Karriere als Ballsportler oder Läufer später auf das Fahrrad zurückgreifen. Das liegt daran, dass beim Fahrradfahren durch die gleichförmige Belastung mit den entsprechenden  Abstufungen einer Schaltung die Gelenke idealerweise gut belastet werden, gleichzeitig aber keinen “Scherkräften” ausgesetzt sind. Ein weiterer Einsatz des Fahrrades findet sich aber auch häufig für Menschen mit Wirbelsäulenbeschwerden. Auch hier reicht die Liste von muskulären Dysbalancen über Bandscheibenschäden bis hin zur Morbus Bechterew-Erkrankung. Viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen lassen sich mit einem gezielten Therapieplan über das Fahrradfahren sehr gut behandeln. Generell können aber viele Erkrankungen und Beschwerden, bei denen unsere Psyche betroffen ist, mit der regelmäßigen Ausfahrt in die Natur sehr positiv beeinflusst werden.

 

F&G: In unserer bewegungsarmen Zeit sind Rückenschmerzen die Volkskrankheit Nr.1. Kann  das Fahrradfahren helfen diese Beschwerden zu lindern?

 

Auch hier ein klares Ja. Das Fahrrad trägt auf jeden Fall dazu bei, dass Rückenschmerzen gelindert werden können. Hier muss aber auch deutlich gesagt werden, dass Rückenschmerzen bei falscher ergonomischer Einstellung verstärkt oder sogar ausgelöst werden können.

Hier ist es für die bestreffenden Personen wichtig, sich im Fachhandel entsprechend beraten zu lassen. Immer mehr Fachhändler greifen das Thema Ergonomie und Fahrrad auf und leisten somit einen guten Einstieg in ein Rückenfreundliches Fahrradfahren. Sind die Aspekte, richtige Rahmengröße, Einstellung von Sattel und Lenker mit allen Einzelkomponenten auf die Proportionen des Radlers übertragen, sind viele Voraussetzungen gegeben, eine dynamisch aktive Position auf dem Fahrrad einzunehmen und beizubehalten. Somit kann ein Fahrvergnügen über Stunden beschwerdefrei gewährleistet werden.

Falsche und richtige Rückenhaltung beim RadfahrenBeim zweiten Bild ist das Becken aufgerichtet die Wirbelsäule kommt in ihre natürliche S-Form

 


F&G: Worauf muss ein Rückenpatient achten, wenn er das Rad zur Therapie einsetzt? Wie wichtig ist die richtige Sitzposition?

 

Auf jeden Fall sind die ergonomischen Aspekte bei der Fahrradeinstellung für alle FahrradfahrerInnen  eine Voraussetzung für beschwerdefreies Fahrradfahren. Besteht aber bereits ein Wirbelsäulenschaden, dann sollte vielleicht auf
eine zu extreme Einstellung der Körperhaltung verzichtet werden. Damit meine ich die “Rennrad-Position” genauso wie die “Holland-Rad”-Position. Es mag für den ein oder anderen ja ganz sinnvoll sein, in dieser Position auf dem Fahrrad
längere Zeit zu verbringen, aus physiologischer Sicht ist das aber sicher in Frage zu stellen.

Eine moderate aufgerichtete Sitzhaltung, wobei das Becken optimal aufgerichtet ist, eine leicht überhöhte Einstellung des Lenkers zum Sattel (5-15 cm) sowie die richtige Lenkerbreite sorgen für eine dynamische, aufrechte Sitzposition. Diese führt zu einer sinnvollen Belastung der Wirbelsäule mit ausreichend muskulärer Aktivierung und segmentaler Stabilität.  Die Sitzposition hat sicher die zentrale Rolle. Sie bestimmt, wie sich die eben beschriebene physiologische Körperhaltung aufbaut. Weiter ist die Sitzhöhe entscheidend für die optimale Be- und Entlastung der Fuß-,Knie- und Hüftgelenke und  der dazugehörigen Muskulatur. Hier sollte noch gesagt werden, dass zur richtigen Sitzposition auch der richtige Sattel gehört. Hier sollte eine entsprechende Vermessung beim Fachhändler erfolgen.

 

F&G: Arthrose ist die häufigste Gelenkerkrankung. Etwa fünf Millionen Bundesbürger leiden darunter. Welche Arthrosen können durch das Radfahren positiv beeinflusst werden?

 

Häufig neigen Menschen dazu, die betroffenen Gelenke zu schonen. Die Bewegung stellt aber die zentrale Therapie einer Arthrosebehandlung dar. Es ist unumgänglich, den noch vorhandenen intakten Knorpel moderat zu belasten. Der Knorpel wird durch Diffusion ernährt, das heißt, Druck- und Zugkräfte müssen auf das Gelenk gebracht werden. Besonders für Arthrosen im Bereich der Hüft- und Kniegelenke (diese beiden Gelenke sind auch am häufigsten betroffen) bietet das Fahrradfahren durch die “gleichförmigen” Reize des Pedalierens  eine sinnvolle Unterstützung bei der Ernährung des Knorpels.

 

F&G: Du bietest in Deiner Praxis einen Fahrrad- Physio- Check an. Was muss man sich darunter vorstellen?

 

Der Fahrrad-Physio-Check ist eine Kombination aus einer körperlichen Untersuchung und einer Vermessung der anatomischen Basisdaten. Diese werden dann auf das Fahrrad übertragen.

Ich möchte das mal an einem Beispiel schildern: Herr M. kommt mit dem Beschwerdebild: Schmerzen in der rechten Schulter. Nach ca. 30 Minuten Fahrradfahren kribbelt sein gesamter rechter Arm bis in die Finger. Die Lust am Fahrrad hat sich verständlicherweise deutlich reduziert. Hier führen wir eine physiotherapeutische Untersuchung durch. Nachdem die Strukturen(Gelenke, Muskeln,Nerven…auf Beweglichkeit und Kraft überprüft wurden) erfolgt eine Vermessung der Sitzbeinhöcker, der inneren Beinlänge, Schulterbreite, Handtellerbreite,… . Diese Daten werden nun auf das Fahrrad übertragen.

Häufig zeigt sich, dass die einzelnen Komponenten am Fahrrad nicht optimal zusammenpassen. Zusammen mit dem Patienten werden dann Lösungsvorschläge entwickelt. Das heißt, neben der Behandlung erfolgt eine Optimierung des Fahrrades.
In diesem Fall die Veränderung der Lenkerbreite, ergonomische Lenkergriffe sowie die Veränderung der Sattelhöhe. Die Beschwerden reduzierten sich aufgrund der Änderungen am Fahrrad sehr schnell.

Der Fahrrad-Physio-Check ist eine hervorragende Möglichkeit, eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Therapeuten und Fahrradhändlern herzustellen. Unsere Praxis greift auf das Fachwissen der Firma Externum zurück. Der Inhaber Martin Switalla verfolgt ein entsprechendes Konzept: Gesundheitssport Fahrradfahren. Wir haben im Bereich der Zusammenarbeit zwischen Physiotherapie und Fahrradfachhandel durchweg sehr gute Erfahrungen gemacht.

 

F&G: In der Vergangenheit  hast Du  Schulungen für Fahrradfachhändler angeboten. Was waren die Themen und Inhalte bei diesen Fortbildungen?

 

Wir möchten durch unseren Schulungen dem interessierten Fahrradfachhändler folgende Inhalte vermitteln

• Anatomie Wirbelsäule
• Anatomie der oberen und unteren Extremitäten
• Muskelaufbau und Muskelgruppen
• Krankheitsbilder und deren Behandlungsformen
• Physiologische Einflüsse in der Fahrradberatung
• Elemente der Ergonomieberatung
• Marketing im Fahrrad-Physio-Bereich
• Kooperationsformen mit der Physiotherapie

 

Um eine bessere Kooperation zwischen Therapeuten und Fahrradfachhändlern herzustellen, schulen wir auch Therapeuten.


Zur Person: 
Stefan Agena ist Physiotherapeut und Ostheopath(FOI)
In seiner Gesundheitspraxis in Bad Zwischenahn behandelt er nicht nur Patienten, er gibt auch Seminare für Therapeuten und Fahrradfachhändler.  Sein Fachwissen gibt er als Dozent, an den Physiotherapeuten Nachwuchs, in Oldenburg weiter.

 

Sein Lieblingszitat?
Sei – versuche nicht zu werden! Osho

© Stefan Agena

Wenn Sie Ihr Rad auch als Therapiegerät einsetzten wollen, sprechen Sie vorher mit Ihrem Arzt oder Therapeuten, und lassen Sie sich Ihr Rad beim Fachmann für Ihre Bedürfnisse einstellen.



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